Masha Frenkel | Somatische Bewegungsschule

stilisierter Kopf mit dem aktiven Gehirn

Neurogenes Zittern – Was wir von Tieren über Entspannung lernen können

Gastbeitrag von Anne W.

Entspann dich mal! Gibt es einen blöderen Ratschlag, wenn man gerade auf 180 ist? Ich muss dann immer an Obelix denken, der im Streit mit Asterix völlig in Rage brüllt „ICH BIN RUHIG!“ Ja. Nichts ist in Zeiten wie diesen schwieriger geworden als die eigene Oase der Ruhe anzuzapfen. Somatisches Training mit Masha, Natur und Meditation helfen mir persönlich viel, aber manchmal ist der zappelige „Affengeist“ im Inneren mit nichts still zu kriegen. In solchen Fällen greife ich dann auf eine Technik namens „Neurogenes Zittern“ zurück, die ich vor ein paar Jahren kennen lernen durfte und von der ich Euch nun berichten will.

Es war das Jahr 2015. Tausende Menschen flüchteten für ein besseres Leben nach Europa, unter anderem auch in die Stadt, in der ich lebe. Als Helfer wurden wir damals mit einer leicht umzusetzenden Entspannungsmethode namens TRE® vertraut gemacht. TRE® oder besser gesagt „Tension & Trauma Releasing Exercise“ ist ein sperriger Name für eine simple Stressreduktionstechnik durch provoziertes Zittern, die wir bei Bedarf mit unseren Schützlingen teilen sollten. Doch wie ich feststellte, hatte die aserbaidschanische Familie, die ich unterstützte, meine neuen Erkenntnisse gar nicht nötig. Sie hatte ihre eigene Entspannungsmethode in Form von Tee, stundenlangem Essen und geselliger Plauderei längst gefunden. Erstaunt merkte ich, dass jemand anderes ein „Runterfahren-Können“ in dieser Zeit wesentlich dringender nötig hatte: ich selbst.

Die Idee des Zitterns zur Stressreduktion ist tief in uns verankert. Tiere tun es und Kinder auch. Der ein oder andere kennt diesen Effekt vielleicht vom Einschlafen, wenn der Körper plötzlich zuckt. Leider haben wir das Zittern als Erwachsene oft unbewusst abgestellt, weil es als Zeichen von Schwäche gilt und nicht sonderlich schick anzusehen ist. Umso besser, dass unser Körper ein Wunder ist und diesen Reflex blitzschnell wieder abrufen kann. Den Startschuss zu setzen ist kinderleicht: ich lege mich dafür auf den Rücken, stelle die Beine auf (so dass sie sich an der Innenseite berühren) und lasse die Knie nach rechts und links zur Seite fallen, so dass nur noch meine Fußaußenkanten den Boden berühren. Dann hebe ich mein Becken. Hier beginnt das Zittern meist schon wie durch Zauberhand von selbst. Zugegeben, man muss es zulassen. Man darf sich nicht davor sträuben, dass sich kleine Blitze über den ganzen Körper ausbreiten und das Becken ein wenig neckisch zu schwingen beginnt. Wenn man möchte, kann man nun versuchen das Becken auf den Boden zu legen. Mein aktivster Zappelphilipp ist dann der Psoas. Ein starker Muskel, der Becken und Wirbelsäule miteinander verbindet und sich bei Stress zusammenzieht, um den Körper zu schützen. Beim Neurogenen Zittern sorgt er nun dafür, dass mein ganzer Rumpf das Pumpen anfängt, als wäre ein Dämon zu Gange. Ob es komisch aussieht? Auf jeden Fall! Einen Schönheitswettbewerb gewinnt diese Übung nicht, keine Frage. Aber danach fühle ich mich großartig. Das Adrenalin ist verschossen, der Parasympatikus darf übernehmen, der Körper kommt zur Ruhe und der Geist auch.

Neurogenes Zittern kann eine Lösung für Ruhelosigkeit, Stress und auch Angst liefern. Selbsterklärend, dass es Psychotherapie, ganzheitliche Körperarbeit oder Sport nicht vollkommen ersetzt, aber sie ist ein weiteres Werkzeug, auf das wir schnell und selbstständig zugreifen können. Zurzeit praktiziere ich das Neurogene Zittern vor dem zu Bett gehen und nur so lange ich darauf Lust habe. Es ist jedes Mal wieder spannend zu sehen, wie viel Spannung der Tag in einem hinterlassen hat. Manchmal zuckt kaum ein Muskel, manchmal entlädt sich ein wahres Feuerwerk. Dann merkt man – hoppla, ich war wohl doch etwas gestresst!

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